Aufregung in der Open Access-Szene um Reuß‘ FAZ-Artikel: berechtigt?

Es herrscht seit gestern große Aufregung in der Open Access-Szene. Auslöser war (wieder einmal) der Heidelberger Germanist Roland Reuß, der vor etwa einem Jahr den Heidelberger Appell initiierte. Nun schrieb Reuß gestern in der faz.net einen Beitrag zum Thema „Zweitveröffentlichungsrecht“ – Titel des Artikels: Wem nützt das Zweitveröffentlichungsrecht? Um was geht es in diesem Artikel und der Diskussion? Am 13. Juli fand in Berlin eine Anhörung des Bundesjustizministeriums zu einer Novellierung des Urheberrechtsgesetzes statt. Dabei wurde die Frage nach einem Zweitveröffentlichungsrecht als Open Access für Autoren diskutiert. Kurz darauf sprach sich die Union in einer Pressemitteilung für das Zweitveröffentlichungsrecht aus. Gleiches gilt für die Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Positiv wurden also diese Forderung sowohl von der Wissenschaft als auch von der Politik aufgenommen. Und nun brachte gestern Roland Reuß in seinem FAZ.net-Artikel Einwände gegen die geplante Novellierung. Er sieht durch die Einführung eines Zweitveröffentlichungsrechtes keine Stärkung der Urheberrechte bei den Autoren, sondern eine Schwächung, da kein Verlag ohne exklusive Nutzungsrechte mehr das Investitionsrisiko für wissenschaftliche Literatur eingehen wird:

„Was hier pathetisch gefordert wird, schwächt in Wahrheit die Position des Autors. Denn wenn der Autor einem Verlag, der in seine Publikation investiert, kein zeitlich begrenztes ausschließliches Nutzungsrecht mehr anbieten kann, wird seine Souveränität nicht gestärkt, sondern beschnitten. Er verliert seine Vertragsfreiheit. Das Investitionsrisiko des Verlags wird zu groß und dem Autor wird nur übrig bleiben, seine unlektorierten und unbeworbenen Schriften im ach so überschaubaren Netz allein „sichtbar“ zu machen.“

Zugleich weist er darauf hin, daß Großverlage das Open Access-Modell ja schon adaptiert haben – ohne Kostendämpfung. Dies geht seiner Meinung nach zu Lasten der mittleren und kleineren Verlage.

„Wie die Erfahrung zeigt, haben gerade die internationalen Großverlage schon längst selbst Open Access-Modelle adaptiert – ohne dass daraus eine Kostendämpfung resultierte, im Gegenteil. Mit der Forderung nach einem unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrecht werden genau die getroffen, die angeblich nicht gemeint waren: die kleineren und mittleren Verlage. Die Großen werden sich ins Fäustchen lachen und sich freuen, weitere Labels billig übernehmen zu können.“

Es ist eigentlich kein Wunder, daß ein Strom an entrüsteten Reaktionen dieser Beitrag in der OA-Szene auslöste. Reuß wurde Unverständnis für die Materie, kein Bewußtsein für die Publikationswirklichkeit, Rückwärtsgewandheit vorgeworfen… mal emotionaler, mal sachlicher. In vielen Punkten kann man den Kritikern Reuß‘ recht geben (beispielsweise die Frage nach der verlegerischen Leistung bei wissenschaftlichen Publikationen heutzutage). Jedoch geht meiner Meinung nach einiges bei diesem Aufeinanderprallen der Sichtweisen verloren: einige Punkte, die Reuß in seinem Artikel anspricht, sind überlegenswert und müssen diskutiert werden bzw. bedürfen einer kritischen Auseinandersetzung (um Kritik vorzubeugen: ich finde die Idee des Rechts (!) auf Zweitveröffentlichungsrecht sehr sinnvoll und befürworte es). So ist beispielsweise wirklich zu hinterfragen, ob OA-Modelle wie Springer sie anbietet, wirklich den Wissenschaftlern nützen. Letztlich verschieben sich hier die Kosten von der Herausgeberschaft auf den einzelnen Autor. Bei Summen von mehr als 2000  € pro Artikel ist dies keine wirkliche Verbesserung, sondern eine weitere Verschärfung der Grenze für diejenigen, die es sich leisten können, und denjenigen, die es nicht können. Natürlich könnte man an diesem Punkt den Einwand bringen, daß Konkurrenz das Geschäft belebt. Aber dies tut es heute auch nicht, da die Reputation einer Zeitschrift eben wichtiger als der ökonomische Aspekt ist. Hier müssen sich die Wissenschaftler eben auch die Frage gefallen lassen, ob es tatsächlich so wichtig ist, in einer ganz bestimmten Zeitschrift zu veröffentlichen. Würde dies nicht bei Online-Publikationen unwichtig sein, da alle Dokumente i.d.R. durch Suchmaschinen auffindbar sind?

Die Aufregung um den Reuß-Artikel macht aber einen anderen Aspekt in der OA-Diskussion deutlich sichtbar. Die Diskussion um die Akzeptanz von OA als Veröffentlichungsform wissenschaftler Forschung ist auch eine Generationsfrage. Ich kenne zahlreiche ältere (aber auch jüngere) Geisteswissenschaftler, die dem Gedruckten mehr Seriosität als der Online-Publikation zubilligen. Dies hängt mit der (selbverständlichen) Nutzung des Internets bzw. Rechners zusammen. Es ist eben eine auch eine „Medienkompetenz“-Frage. Da ist eben an die OA-Szene die Frage zu stellen, ob genügend Aufklärung im Sinne eines Diskurses betrieben wurde. Und nein, es reicht nicht aus, Blogbeiträge o. ä. im Netz zu publizieren, weil eben die Kritiker oder Ablehner nicht dieses Medium in dem Maße nutzen wie die OA-Befürworter. Leider kenne ich keine Veranstaltungen zu diesem Thema, die an meiner Universität(sbibliothek) gehalten worden sind. Aufpeitschende Diskussionen nützen für eine OA-Werbung nichts, sondern Gespräche, in denen auch Ängste, Befürchtungen der Kritiker wahrgenommen und mit ihnen besprochen werden. Aufeinander Zugehen und miteinander Kommunizieren heißt die Zauberformel – auch bei Beiträgen von Roland Reuß.

Linkliste zur Reuß-Diskussion (kann gerne in den Kommentaren ergänzt werden):

18 Responses to Aufregung in der Open Access-Szene um Reuß‘ FAZ-Artikel: berechtigt?

  1. […] This post was mentioned on Twitter by Peter Hellinger, digiwis. digiwis said: Aufregung in der Open Access-Szene um Reuß’ FAZ-Artikel: berechtigt? http://bit.ly/9ULXSi […]

  2. Aufeinander zugehen und miteinander Lösungen aushandeln – das ist in der Tat der einzige Weg in einer Demokratie. Herr Reuß macht einem dies allerdings unglaublich schwer mit seinen apodiktischen Erklärungen, und zugleich fordert er mit seinen Eigenarten Spott geradezu heraus. (Es ist schwer, mit jemandem zu diskutieren, der sich gerade über typografisch unbefriedigende und so offenbar den Untergang des Abendlandes beschleunigende Apostrophe in den Kommentarfunktionen bestimmter Websites aufregt.)

    „Bei Summen von mehr als 2000 € pro Artikel ist dies keine wirkliche Verbesserung, sondern eine weitere Verschärfung der Grenze für diejenigen, die es sich leisten können, und denjenigen, die es nicht können.“ – Dies hat mich, als ich das erste Mal von Open Access hörte, auch umgetrieben, aber inzwischen habe ich den Eindruck, dass ein Mix verschiedener Maßnahmen dieses Risiko reduziert: Viele OA-Zeitschriften bieten Autoren, die den Betrag nicht aufbringen können, Sonderkonditionen; unabhängige Fördereinrichtungen stellen Gelder zur Verfügung; die Universitäten selbst lenken ihre Mittel um.

  3. wenkerichter sagt:

    Natürlich muß für Verständigung der Wille auf beiden Seiten sein. Daß dies neben Zuhören auch die Akzeptanz von der Existenz anderer Meinungen verlangt, steht außer Frage. Dies ist aber auch die Hürde bei der ganzen Diskussion – leider eben auf beiden Seiten. Wie gesagt: ich würde mich über Informationsveranstaltungen zu Open Access an Universitäten, Forschungseinrichtungen und Bibliotheken freuen, diese gibt es eben aber zu selten (wobei ich gerne wüßte, warum).
    Zu den Kosten: seit ich mich mit OA beschäftige, fällt die Frage nach den Kosten leider runter. Ja, auch OA kostet Geld, egal ob Repositorium eines Instituts oder eben Verlag. Und nein, OA heißt eben nicht kostenlos in der Herstellung bzw. Bereitstellung. Und wir brauchen darüber eine wirkliche Diskussion! Natürlich gibt es verschiedene Modelle, auch Sonderkonditionen, aber wie gesagt, verschiebt sich lediglich an dieser Stelle nicht das Problem? Oder anders ausgedrückt: wie soll die Kostenstruktur aussehen, wer ist bereit, wieviel für welche Leistung zu zahlen.

  4. […] von Reuß´ Hinweisen sind trotzdem ernst zu nehmen (wie Wenke Richter richtig anmerkt). Wir gehen davon aus, dass ein Zweitverwertungsrecht die Publikationsmöglichkeiten und ihre […]

  5. Matthias Ulmer sagt:

    Vielen Dank für diesen Beitrag, der erstmals vom Schema des gegenseitig lächerlich machens abweicht. Ernst nehmen ist das richtige Stichwort.

    Eine kleine Anmerkung: Kretschmer/Schipanski sind nicht gleich die ganze CDU/CSU. Das sind zwei Abgeordnete, mehr nicht. Und der Konflikt zwischen Bildungspolitikern und Rechts- und Wirtschaftspolitikern zieht sich durch die CDU genau so wie durch andere Parteien.

    Die Diskussion wäre einfacher, wenn die Argumentation klarer ist. Wenn das deutsche Zweitveröffentlichungsrecht als Lösung gegen zu hohe Zeitschriftenpreise ins Feld geführt wird, dann muss man damit rechnen, dass das Zweitveröffentlichungsrecht dafür als untauglich und schädlich bezeichnet wird.
    Wenn es dagegen darum geht, dass man damit OA fördern und insbesondere eine wissenschaftliche Informationsinfrastruktur entwickeln will, die ohne Verlage und Privatwirtschaft auskommt, dann wäre das der offenere Weg. Dann muss man sich aber auch den verfassungsrechtlichen Fragen bezüglich einem staatlichen Publikationswesen stellen.

    Alle diese Themen sind nicht einfach. Und jeder Eingriff hat gravierende Folgen. Da helfen Polemiken sicher in keiner Richtung weiter. Zum Glück gibt es ja doch einige Gesprächsforen, in denen die Themen verantwortlich miteinander besprochen werden können. Aber es wäre schön, wenn das auch in Blogs der Fall wäre.

  6. Was an dem Begriff der „digital natives“ so irreführend ist, daß es sich bei dieser Gruppe um ausnahmslos junge Menschen, weil im digitalen Zeitalter Geborene handelt.

    Insofern meine ich nicht, daß es sich um eine Generationenfrage handelt, sondern tatsächlich um eine Frage der durch Interesse und Engagement erworbenen (Medien-)Kompetenz. Die ist aber unabhängig vom biologischen Alter dessen der Kompetenz besitzt oder eben nicht.

    Roland Reuß hat – soweit ich seine Editionsprojekte kenne – durchaus Medienkompetenz und ist keinesfalls jemand, der seine Publikationen nur auf von japanischem Waisenknaben handgeschöpftem Reispapier von Hand kalligraphiert sehen möchte. Und der Band zur Frankfurter Tagung 2009 erschien bei Vittorio Klostermann sogar hybrid: open access und als gedrucktes Büchlein.

    Nebenbei ist das Problem des author-paid-Modells nur in den Geisteswissenschaften relevant, da nur dort Einzelkämpfer arbeiten, während in den MINTs fünf, zehn oder gar mehr Wissenschaftler für einen Beitrag als Autor genannt sind. Damit teilen sich die Kosten auf und reduzieren sich pro Nase deutlich. Zudem sind solche Publikationskosten in den Forschungsgeldern einer Gruppe immer enthalten. Zudem ist die Publikationstätigkeit bei MINT-Disziplinen exorbitant im Gegensatz zu deutschen geisteswissenschaftlichen Zeitschriften.

  7. Nachtrag: bei PLoS kann man sogar auf Antrag gratis publizieren, wenn man als freier Doktorand gerade keinen Zugang zu den Fleischtöpfen hat; zudem halten viele Universitäten ein Konto, durch das der einzelne Betrag nochmals verringert wird. Bei anderen Zeitschriftem (BioMed & Co.) ist das alllerdings leicht anders.

  8. wenkerichter sagt:

    @Joachim Losehand
    Es ist tatsächlich aber auch ein tatsächliches Generationsproblem. Vor allem in den Geisteswissenschaften nutzen zahlreiche mittlere und ältere Forscher den PC als erweiterte Schreibmaschine. Ihre Einstellungen zur IT „übertragen“ sie auf ihre Schüler, z. B. dadurch, daß Online-Texte in Seminararbeiten nicht erwünscht sind, es in den propädeutischen Seminaren absolut keine Informationen zur Handhabung und zu den Möglichkeiten des PC bzw. Internets gibt. Zudem muß auf die unterschiedlichen Anforderungen der Natur- und Geisteswissenschaften hinsichtlich ihrer Publikationswege eingegangen werden und Lösungen angeboten werden. Faktisch unterliegen die Geisteswissenschaften doch jetzt schon in ihrer Relevanz in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft den Naturwissenschaften. Ich denke nur daran, wenn in Medien von Forschung gesprochen wird. Niemand sieht da einen Archäologen oder einen Historiker, sondern einen Chemiker oder Maschinenbauer.

    @Matthias Ulmer
    Ich stimme da hinsichtlich der Frage OA mit oder ohne Privatwirtschaft vollkommen zu: im Grunde steckt da die Frage nach den verlegerischen Leistungen bei einem Verlag/bei einem Repositorium. Ist OA nicht mehr als nur ein Dokument ins Netz zu stellen (Frage: Layout, Distribution, Bewerbung etc.)?

  9. @ wenkerichter:

    Es ist natürlich dasselbe wie in der Drittmitteleinwerbung, die MINT sind einfach prestigeträchtiger, weil die technikgläubige Gesellschaft, die sogar IT-Spielzeuge mit den 10 Gebots-Tafeln vergleicht (iPad), sich eben selbst für Abseitiges in diesen Bereichen begeistern kann und „Ah!“ und „Oh!“ ruft. Dabei tut sich gerade auch in den Orchideen-Fächern einiges, die Klass. Archäologie war früh bei der Digitalisierung an forderster Front dabei, wobei: auch das ist ja etwas für den Laien Be-Greifbares.

    Hinsichtlich der Generationen-Unterschiede haben wir alle sicherlich die unterschiedlichsten und gegensätzlichsten Beispiele parat, aber die Tendenz, die technischen Möglichkeiten eben *nicht* auszuschöpfen und auf der Höhe der Zeit zu sein, ist in den Geisteswissenschaften natürlich verbreiteter. Aber eben auch bei den Jüngeren, die allerdings auch keine Anreize von den Älteren erfahren.

    @ Matthias Ulmer:

    Vielleicht ist mir ja Essentielles entgangen, aber die Argumentation, OA sei das Heilmittel gegen hohe Publikationskosten, höre ich vor allem von Roland Reuß und Uwe Jochum, die das mehr oder minder falsch zu widerlegen versuchen.

    Natürlich kostet OA etwas, vor allem (zu bezahlende) Arbeit und die elektronische Bereitstellung und Pflege. Und ich würde nicht generell zustimmen, daß mit OA eben alles kostenlos ist – außer dem Zugang.

    Entscheidend ist vielmehr, daß die technischen Möglichkeiten die wissenschaftliche Kommunikationsstrukturen und -prozesse verbessert und dazu gehört wie in der analogen Welt ein prinzipiell barrierefreier Zugang zu Fachinformationen.

    Insofern Verlage für Wissenschaftler Dienstleistungen erbringen, sehe ich nicht, warum überhaupt ein vertraglich gesichertes exklusives Publikationsrecht, das Nutzungsrecht an einem bestimmten Text, überhaupt nötig ist. Aber hier spielen zwei Prozesse mit hinein:

    1) Zum einen der schnellere Prozeß der Digitalisierung und die Forderung nach einem barrierefreien Zugang zu den publizierten Texten: Was nicht im Netz ist, existiert im Grunde nicht, die maximale Sichtbarkeit und Erreichbarkeit ist auf Dauer im Internet gewährleistet und wird in Zukunft dort vorhanden sein;

    2) Andererseits der zögerliche, auf Kontrolle und materielle Erlöse ausgerichtete Prozeß verlegerischer Geschäftsmodelle; anstelle sich als Dienstleister zu verstehen und Dienstleistungen am Text anzubieten, werden Texte „erworben“ (gegen Geld oder nicht) und weiterverarbeitet.

    Man muß auch konstatieren, daß die Verlage zwischen Wissenschaftlern (Autoren), Bibliotheken, Studenten und Wissenschaftlern (Lesern) stehen – und damit in vielem mit dem exklusiven Nutzungsrecht in der Hand auch faktisch im Weg stehen.

    Im Grunde dreht sich immer wieder in der wiss. Informationsverbreitung darum, was denn die Verlage wollen und nicht darum, was zeitgemäß technologisch umsetzbar den Wissenschaften nützt. Das stellt die „natürliche Ordnung“ im Grunde auf den Kopf, wenn nicht die Bedürfnisse der kommunizierenden Wissenschaftler (Urheber und Nutzer) an erster Stelle bzw. im Zentrum stehen.

    Niemand will Verlage aus der wissenschaftlichen Publikation drängen, schließlich will und kann auch nicht jeder sein Brot selber backen oder sein Auto reparieren. Aber wenn Dienstleister (Verlage) denenen, für die sie Dienste erbringen (Wissenschaftler, Urheber wie Nutzer), vorschreiben, wie sie kommunizieren sollen (vgl. „subito“ oder „Leseplätze“), läuft etwas falsch.

    Wir brauchen wieder ein Gleichgewicht aller berechtigten Interessen, und darum auch brauchen wir ein Zweitveröffentlichungsrecht für wissenschaftliche Urheber.

  10. […] Am 13. Juli 2010 fand nun die Anhörung zur Novellierung des Urheberrechts statt. Dabei wurde auch das Thema „Zweitveröffentlichungsrecht“ diskutiert. Diese Forderung nahmen einige Parteien recht positiv auf. Doch es gab auch Gegenwind. Darüber berichtet in dieser Woche der Blog „Wissenschaft und Neue Medien„. […]

  11. Matthias Ulmer sagt:

    Lieber Herr Losehand,

    wir müssen präziser werden in der Diskussion, wenn das irgend wo hin führen soll. Wenn Sie meinen Beitrag genau lesen, dann steht da ja gerade NICHT drin, dass OA ein Rezept gegen die Zeitschriftenkrise ist. Das Zweitveröffentlichungsrecht wird mit der Zeitschriftenkrise begründet. Und gegen diese kann es überhaupt nichts bewirken. Es kann nur zur Durchsetzung von OA beitragen.

    Ohne Zweifel bietet die Digitalisierung ungeheure Möglichkeiten für eine Informationsinfrastruktur. Alleine es ist ein typischer Fehler, die Machbarkeit des Möglichen mit der Notwendigkeit zu verwechseln. Das passiert immer dann, wenn sich jemand so sehr in eine Idee verliebt, dass er nicht mehr wahr nimmt, dass sie gar nicht gebraucht wird.

    Genau das passiert Ihnen. Sie sind sogar soweit von Ihrer Idee überzeugt, dass Sie schon von einer „natürlichen Ordnung“ sprechen, die aus dem Gleichgewicht geraten sei (was natürlich die Grundlage für staatliches Eingreifen ist). SIe behaupten, die Verlage schreiben den Lesern vor, wie sie kommunizieren sollen. Das ist Nonsens. In Ihrer Phantasie sind Verleger von bettelnden und klagenden wissenschaftlichen Autoren umgeben, die darum flehen, dass sie ein Zweitveröffentlichungsrecht bekommen, dass sie ihre Artikel auf Uni-Server legen dürfen oder sie kostenlos ins Netz stellen und verbreiten können.

    Das ist eine Vision, die mit der Realität nichts zu tun hat. Die Zahl der Autoren, die ein Zweitveröffentlichungsrecht erbitten ist im Promille-Bereich. Genau so wie der Anteil der Studenten, die digitale Lehrmittel wünschen und nutzen eine Minderheit ist. Das Angebot an digitalen Medien überschreitet bei weitem die Nachfrage. Und die Autoren treibt in ihren Briefen vornehmlich die Frage um, wie ihre Inhalte vor illegaler Verbreitung geschützt werden und viel weniger, wie sie ihre Inhalte aus den Klauen des raffgierigen Verlegers befreien können.

    Bei der Verwirklichung Ihres Traums einer perfekten Informationsinfrastruktur stehen Ihnen nicht die Verleger im Weg, sondern die Autoren selbst. Und dagegen richtet sich in meinen Augen Herr Reuß, wenn er darauf hinweist, dass das Zweitveröffentlichungsrecht nichts anderes ist als eine Einschränkung der Vertragsfreiheit der Autoren. Den Initiatoren geht es gar nicht darum, den Autoren irgend eine Freiheit zu verschaffen, sondern man will sich über einen §38 den Zugriff auf die Werke verschaffen, die die Autoren freiwillig nicht hergeben wollen.

    Ich kann nur von meinen Autoren berichten, so wie jeder Verleger das kann. Aber bei mir sind das rund 5.000 und da bin ich ein kleiner Verlag. Wenn wir Verleger behaupten, dass wir wissen, was unsere Autoren wollen, dann steht diese Behauptung schon auf einem ernstzunehmenden Fundament. Und wenn wir nicht das täten, was unsere Autoren wollen, dann gäbe es uns nicht mehr.

  12. Sehr geehrter Herr Ulmer,

    ich stimme Ihnen zu, daß Sie nicht davon reden, daß OA ein Rezept oder gar Remedium gegen die Zeitschriften ist und ich stimme auch zu, daß OA kein Rezept oder gar Remedium gegen die Zeitschriftenkrise ist. Denn ob man viel Geld für den Zugang zu Gedrucktem oder den Zugang zu digitalem verlangt und auch bezahlt, bleibt sich gleich. Das Problem ist da eher ein systemisches.

    Wie Ben Kaden mir dankbarerweise (ich wiederhole es gerne bei jeder Gelegenheit) nach meinem Beitrag zu Open Access im FREITAG mit auf den Weg gegeben hat, versuche ich mich, davor zu hüten meine eigene Rezeptionspraxis hochzurechnen oder gar von mir auf andere zu schließen.

    Mir ist bewußt, daß viele meiner Kollegen andere Probleme haben, als sich mit dem Urheberrecht oder gar Open Access zu beschäftigen (nämlich, überhaupt einmal einen Beitrag an namhafter Stelle zu publizieren) und das die meisten kaum über ein zaghaftes Plantschen im Internet („Thalassa! Thalassa!“) hinausgekommen sind.

    Was ich aber hochrechne, das sind nicht die Stimmen der heutigen Autoren und Urheber, die dem Netz gegenüber oftmals ein aus diffusen Vorstellungen und Konjekturen zusammengesetztes Unbehagen entgegenbringen, sondern das ist die Praxis meiner Studenten und Schüler, die zu 80% mit einem Laptop bewaffnet in meine Seminare kommen und prinzipiell erwarten, daß das, was für sie relevant ist, auch – allgemein gesagt: „über Google“ für sie erreichbar ist. (Was nicht heißt, daß ich im Proseminar erklären müßte, was ein „Buch“ ist und wie man es benützt.)

    Gerade dort, wo die Peripherie ist, wo Großzentren und Großbibliotheken nicht mit der S-Bahn im 15-Minuten-Takt erreichbar sind, werden die Bedürfnisse der „digitalen Informationsgesellschaft“ deutlich: physische Fernleihe, Fahrten in die Großstadt zur Staatsbibliothek usw. stellen für Studenten eine ziemliche Barriere dar: Was sie nicht im Netz finden und über das Netz bekommen, das verwenden sie im Großen und Ganzen einfach nicht mehr (Anamnese, nicht Epiklese). Dabei sind dann praktische und hilfreiche Lieferdienste wie subito oder elektronische Angebote „unternehmerischer Initiativen“ für Studenten natürlich off limit, einfach, weil sie das Geld für den Zugang nicht haben.

    Parallel dazu sehe ich die internationale Entwicklungen (in meiner Disziplin), die digital aufbereiteten und frei im Netz publizierten Sammlungen (Photographien, Inschriften und andere Quellen), die sukzessive Digitalisierung und Veröffentlichung (natürlich OA) von alten Zeitschriftenbeständen überall auf der Welt (hier: USA, Neuseeland, Australien und Brasilien).

    Natürlich ist ein normativ verankertes Zweiveröffentlichungsrecht eine Einschränkung der Vertragsfreiheit, insofern keine Exklusivverträge mehr abgeschlossen werden können.

    Andererseits sollte man aber auch einmal grundsätzlich darüber reden, inwieweit exklusive und ausschließliche Verwertungsrechte der Wissenschaftskommunikation an sich nützen und ihr nicht vielmehr schaden? Warum sollte ich nicht eine Publikation als gedrucktes Werk im XY-Verlag veröffentlichen und eine digitale, stets aktualisierte Fassung auf einer eigenen Internet-Seite publizieren und ein digitales Reverenzexemplar der „1. Auflage“ in Repositorien einstellen?

    Weil dann das gedruckte Buch nicht mehr gelesen und gekauft wird? Haben wir so ein unsicheres Verhältnis zu Büchern, daß wir nicht glauben, daß Satz, Druck und Buchbinderei nicht mehr honoriert werden – und alles nur noch auf Tablet-Computern (nämlich kostenlos) gelesen wird?

    Im Kern geht es (mir) also um die absehbare Zukunft der Wissenschaftskommunikation, die a la longe und nicht nur durch die nachwachsenden unmittelbaren nächsten Generationen in einer globalisierten scientific community auch eine globalisierte Kommunikation über das Internet pflegen wird. Der Diskurs um das Zweitveröffentlichungsrecht ist nur das Phänomen, das unzureichend mit „Verstaatlichungsphantasien“ (Roland Reuß) oder – wie Sie sagen – „Zugriff auf die Werke verschaffen, die die Autoren freiwillig nicht hergeben wollen“ beschrieben wird.

    Es steht zu befürchten, daß Publikationen, die nicht auch digital und umfassend erschlossen zu Verfügung stehen, ähnlich den Handschriften in naher Zukunft schlichtweg nicht mehr gesucht und damit nicht mehr wahrgenommen werden. Dabei ist weder die „technokratische Machtergreifung“ noch die Lizensierung a la „subito“ oder sog. dem „angemessenem Angebot“ eine erquickliche Aussicht, eine wirkliche Lösung.

    Alle Wissenschaftler wollen wahrgenommen werden (ein eitles Völkchen wie sie sind) und dieser Wahrnehmung so wenig wie möglich Steine in den Weg legen. Die Wahrnehmung im Digitalen hat je nach Disziplin und persönlicher Kompetenz eine unterschiedliche Relevanz, die aber nach subjektiven wie objektiven Einschätzungen zu unterscheiden ist. Mit zunehmendem Durchdringungsgrad wird die Relevanz des Internets zunehmen und damit auch die digitalie Informationverbreitung, zumal die nächsten Generationen ein anderes, wesentlich selbstverständlicheres Nutzungsverhalten mitbringen.

    Ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht heißt für mich nicht, daß man damit jetzt den Autoren, die ihre Werke nicht „hergeben“ wollen, diese Werke „entreißt“. Sondern, daß die Autoren dann, wenn sie erkennen, daß sie ihre Schriften, wenn sie wollen, daß sie weiterhin wahrgenommen und erreichbar sind, open access stellen wollen (!) dazu das Recht und die uneingeschränkte Möglichkeit haben – vor allem, wenn ihnen ihre Verlage keine praktikablen und wissenschaftsfreundlichen Angebote dazu machen.

    Denn keineswegs kann man einen Urheber über ein reines Zweitveröffentlichungsrecht (!) in die Pflicht nehmen, in bestimmter Weise und an einem bestimmten Ort auch zu veröffentlichen; aus einem bestehenden Recht erwächst keine Pflicht, es auch wahrzunehmen.

    Aber man kann ihn in den Stand versetzen, es zu jedem beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft so zu tun, wie es ihm richtig erscheint. Woran ihn dann auch keine Exklusiv-Verträge hindern können. (Wie gesagt, ich halte Exklusiv-Verträge eher für eine Gewohnheit denn für eine existenzielle Notwendigkeit.)

  13. wenkerichter sagt:

    @Joachim Losehand und Matthias Ulmer

    Ich finde es sehr erfreulich, daß hier in den Kommentaren ausführlich miteinander (!) diskutiert wird – zumindest habe ich so den Eindruck. Im Grunde schält sich unabhängig einer Pro- oder Kontrastellung zu OA ein Problem heraus, daß ich ja schon mehrmals angedeutet habe. Es fehlt an kompetenter Aufklärung und Medienkompetenz über das Thema OA, Digitalisierung, Internetnutzung, Urheber- und Nutzungsrechte. Matthias Ulmer beschreibt sehr plastisch die Angst seiner Autoren, bei Online-Publikationen raubkopiert zu werden, wohl möglich noch mit Verfälschungen des ursprünglichen Textes. Sie vertrauen nicht, daß das Urheberrecht auch im Internet gilt, sie vertrauen nicht den Instrumenten der Verfolgung. Hier bedarf es einer klaren Aufklärung, die eben auch Aufgabe der universitären Ausbildung ist. Wie gesagt: ich kenne an meiner und anderer benachbarter Hochschulen keine entsprechenden Veranstaltungen.

  14. Matthias Ulmer sagt:

    Lieber Herr Losehand,

    ich stimme Ihnen bei der Vision einer zukünftigen Wissenschaftsinformationsinfrastruktur zu. Die Verfügbarkeit der Inhalte überall und jederzeit scheint auch mir das notwendige Ziel. Dabei wird es dennoch sehr abgestufte Zugangsrechte geben, je nach Institution und Zielgruppe. Das aber wird wohl weniger das Thema des Studenten oder Forschers sein, sondern viel mehr der Institution, ihren Mitgliedern angemessene Zugangsrechte zu sichern. Die Kosten dafür sind zunächst ganz unabhängig von der Frage, wer das macht.

    Ich halte es (aus heutiger Sicht) für zwingend, dass die Entwicklung dort hin geht. Wir sind uns letztlich nur uneins über die Frage, wer welchen Part in der zukünftigen Infrastruktur und Wertschöpfung übernimmt. Für mich sollte das nach Qualität und Effizienz entschieden werden. Wer aber was macht, das bildet sich in den Jahren bis dahin von selbst heraus. Ich glaube hier nicht an die Segnungen staatlich dirigistischer Eingriffe. Nötigung, ob sanft oder stark, genau so wie Subventionen, führt eben dazu, dass jemand nicht das tut, was er für richtig hält.

    Die Situation der Studenten sehe ich noch etwas anders. Das Argument, dass die Studenten nicht das Geld für die Lehrmittel haben ist problematisch. Die Investitionen der Studenten in Lehrmittel nimmt seit Jahrzehnten kontinuierlich ab. Die Lehrbücher werden dabei laufend umfangreicher, farbiger, besser ausgestattet mit Abbildungen. Die verkauften Auflagen gehen gleichzeitig weiter zurück. Und wir haben es nun mit Studentengenerationen zu tun, denen auch von ihren Dozenten nicht mehr beigebracht wird, dass man in die Ausbildung investieren muss, sondern die lieber mit ihnen das Thema „freies Wissen“ diskutieren und das durch großzügige Auslegung aller verfügbarer Schranken auch umsetzen.

    Das halte ich für falsch. In den USA liegt der Preis für Lehrbücher erheblich über dem in Deutschland, die Ausgaben für Lehrmittel liegen im Durchschnitt ebenfalls erheblich über unseren. Das ermöglicht amerikanischen Verlagen ganz andere Investitionen in Lehrmittel, in die Entwicklung und Ausstattung konventioneller Bücher genau so wie in die Entwicklung elektronischer Produkte. Und wir werden zunehmend in Deutschland mit Übersetzungen arbeiten, weil die Refinanzierung für Eigenentwicklungen kaum mehr möglich ist. Diese Entwicklung wird so enden, dass die Qualität der Lehrmittel zunehmend schlechter wird, Auflagen veralten. nicht mehr für den deutschen Markt angepasst werden oder in Spezialgebieten schlicht keine mehr erscheinen. Ob das Studieren mit Dozentenskripten dann schließlich als Errungenschaft verstanden wird, das bezweifle ich.

    Das Drama ist, dass in der zwar interessanten, aber doch auch akademischen Diskussion um OA das Lehrbuch als Kollateralschaden zu Grunde geht. Da arbeiten Bibliothekare und Wissenschaftspolitiker mit ihren Etats bzw. Präferenzen für digitale Medien daran, da wird aus Medienbudgets die Digitalisierung und deren Infrastruktur finanziert, da werden Lehrbuchsammlungen nicht aktualisiert und durch die Nutzung von 52a (oder in geringerem Maße bei 52b) der Markt weiter beschädigt. Dabei sollte die Verantwortung für die Lehre eigentlich die Wissenschaftler, Bibliothekare und Verleger gegenüber den Geldgebern einen.

  15. wenkerichter sagt:

    2007 auf der Open-Access-Week wurde der Ruf nach Multiplikatorennetzwerken für OA, auch in Gesprächen mit Verlagen, laut. Institutionen sollten OA-Beauftragte nennen. Ob und wie sind die Ideen umgesetzt worden?

    Nachzulesen unter diesem Link: http://www.slideshare.net/openaccessnet/openaccesstage-2007

  16. Sehr geehrter Herr Ulmer,

    meiner Meinung nach kann man die Schrumpfung bzw. Stagnation auf dem Lehrbuch/-mittel-Sektor nicht „Open Access“ anlasten; vielmehr sind es die veränderten Studier- und Lebensbedingungen der Studenten, die sich vom Erwerb von Lehrbüchern, Kompendien oder Einführungswerken eher abhalten. Schon in meinem Studium (1998) hat man eigentlich fast völlig auf den begleitenden Einsatz von Überblicks- und Einführungsliteratur verzichtet, evtl. vorhandene grundständige Überblicksvorlesungen wurden nicht abgeprüft und nicht anhand einschlägiger Literatur gelesen. Heute haben wir (in Geschichte bspw.) die neuen Studiengänge mit „sexy“ Modulen, die thematisch nur einen kleinen Aussschnitt einer Epoche bieten, einen Flickenteppich ohne wirkliche Systematik. Systematisch aufgebaute Lehrwerke sind da völlig überflüssig, weil die Studenten weder die Zeit noch die Motivation haben, Dinge im Selbststudium sich anzueignen, die nie an sie von Dritter Seite herangetragen werden. Zudem ist die finanzielle Situation der meisten Studenten prekär, etwa 80% arbeiten nebenbei und da wird dann auch am Büchergeld gespart (vor allem, weil man meistens Literatur immmer nur für 1 Veranstaltung nutzen kann und keine Synergieeffekte hat). In den USA oder GB gibt es grundständige und überblicksartige Veranstaltungen, zudem gerade in den USA ein ausgebautes Stipendienwesen mit Büchergeld usw.

    Aber, wie gesagt: das tangiert die Open-Access-Diskussion nur am Rande, denn es geht beim Zweitveröffentlichungsrecht und OA ja vor allem um die wissenschaftsinterne Informationsverbreitung, an der auch Studenten und interessierte partizipieren können; letztere aber sind nicht die Kernzielgruppe.

    Und hier ist die Vorstellung von abgestuften und „angemessenen“ Zugangrechten schlichtweg ein Horror, den wir Wissenschaftler schon zu genüge kennen und diese Barrieren abzubauen wir ja eigentlich bestrebt sind. Denn worin liegt der Vorteil, die Vossische Zeitung digital online vorliegen zu haben, wenn man doch wieder einzelne Bibliotheken ansteuern muß, um dort Einblick in die digitalen Bestände zu nehmen? Ich möchte weltweit ortunabhängig Zugriff zu den Beständen haben, nicht meine Arbeitszeit mit Reisen verschwenden und auch nicht mit der mühsamen Recherche danach, wer und wo denn ein „angemessenes“ und natürlich kommerziell-kostenpflichtiges digitales Angebot einer Zeitschrift oder Zeitung bietet.

    Diese abgestuften Lizenz- und Zugangsmodelle behindern unangemessen meine bibliographische Arbeit, von den allein als blödsinnige Bilddateien zur Verfügung gestellten und damit nicht-interoperablen digitalen Dokumenten ganz zu schweigen. Die subito-Lizenzverträge haben meiner Meinung nach die Verlage bzw. die Branchhenvertreter viel Reputation und Goodwill seitens der Wissenschaftler gekostet, mich kostet eine subito-Recherche eines Artikels, der von einem Verlag als „angemessenes Angebot“ extern bereitgehalten wird, etwa das doppelte oder dreifache an Recherchezeit, ich verbrauche Zeit, den DRM-Schutz der pdf-Bilddateeien zu umgehen, um mit den Aufsatztexten arbeiten zu können (Anmerkungen, Zitate herauskopieren etc.), die Kosten sind deutlich gestiegen. Inzwischen bitte ich vor allem Freunde und Verwandte, mir Literatur aus ihren Bibliotheken per E-Mail zuzusenden. Geht genauso schnell und kostet mich nur Gegengefälligkeiten.

    Es reicht also keineswegs, alles zu digitalisieren, es muß auch für die, die mit den Digitalisaten arbeiten, möglich sein, wesensmäßig und ohne technische Einschränkungen zu arbeiten. Es ist doch völlig unwitzig, einen Abschnitt vom Bildschirm eines Lesegerätes in der Bibliothek per Hand oder Laptop abzuschreiben. Niemand kauft sich eine Harley-Davidson und schiebt die dann nur.

    Verlage mißbrauchen meiner Meinung nach hier ihre Position als Dienstleister der Wissenschaft und auch die Exklusivrechte, die sie regelmäßig einfordern. Mag sein, daß die Autoren des Ulmer-Verlages daran interessiert sind, keine digitalen „Raubkopien“ im Umlauf zu sehen, aber ich verrate Ihnen sicheer kein Geheimnis, wenn ich sage, daß es viele Wissenschaftler gibt, die ihre Eltern verkaufen würden, wenn es denn nur helfen würde, daß jeder ihrer Kollegen eine Kopie ihres aktuellsten blockbuster-Aufsatzes in der Zeitschrift „Historia“ in den Händen hat.

    Ein Zweitveröffentlichungsrecht ist also in meiner Sichtweise ein wirksames Instrument, um entsprechend Nutzer-zentrierte Strukturen aufzubauen, weil Autoren, die an diesen Strukturen partizipieren wollen, eben damit das Recht (aber nicht die Pflicht) haben, diese zu unterstützen. Wenn man den Auf- und Ausbau dieser Verbreitungsstrukturen alleine den privatwirtschaftlichen Verlagen überläßt und sie mit entsprechenden Verwertungsrechten ausstattet, dann bekommt die scientific community eben genau solche Zugangmodelle wie 2010 zur „Vossischen Zeitung“ oder zum Dokumentenlieferdienst der Bibliotheken subito 2008; und die behindern die Wissenschaftskommunikation mehr als der Vorteil privatwirtschaftlicher Organisation nützt.

    Ich sehe die privatwirtschaftliche Beteiligung der Verlage an der digitalen Wissenschaftskommunikation ähnlich der der Internet Service Provider, die eben Dienstleistungen zur Veröffentlichung vorhalten und anbieten, die abgerufen werden oder eben nicht. Nicht mit den Inhalten, sondern an der Verbreitung vedienen die Service-Provider, sie erwerben keine Nutzungsrechte an den Inhalten, sie halten sie nur online und entscheiden auch nicht über Zugangsrechte.

    Publizieren im Internet bedeutet einen Paradigmenwechsel für die Verlagsbranche; die Kollegen aus den Presseverlagen haben erst alle Hoffnung auf das iPad gesetzt und stellen jetzt fest, daß auch auf dem iPad die Marktdynamiken im Internet gelten, siehe „Flipboard“. Ob Presse- Belletristik- (E-Book und Wylie) oder wissenschaftliche Fachverlage – sie alle müssen ihre
    Rolle und ihr Angebot neu definieren.

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    Sehr geehrte Frau Richter,

    es dürfte zwischen Wissenschaftlern, die Erträge ihrer Forschung publizieren und „richtigen“ Autoren auch Unterschiede geben, vor allem, was das Interesse an Urheberrechten anlagt.

    In jedem Fall aber ist das Unwissen groß und ist es erschreckend. Da helfen auch die jährlichen OA-Wochen wenig, die zudem vor allem die „usual suspects“ versammelt. Im Grunde muß man jeden Wissenschaftler, jeden Studenten (auch die sind da trotz #unibrennt weitgehend ahnungslos) einzeln „briefen“. Herr Ulmer hat zwar recht, daß selbst sanfter Zwang eben Zwang ist, aber ich meine doch, daß es auch für deutsche Professoren eine Verpflichtung gibt, sich auch auf diesem Sektor weiterzubilden, Verpflichtung im Sinne einer Handlungsmaxime. Hier sollten mehr Angebote zur Information auch offensiv in die Institute und Abteilungen getragen werden.

  17. Matthias Ulmer sagt:

    Lieber Herr Losehand,

    drei Themen möchte ich herausgreifen und weiterverfolgen:

    Sie schreiben, die Vorstellung abgestufter und angemessener Zugriffsrechte sei ein Horror. Ich verstehe das gut, denn warum sollen nicht alle auf alles Zugriff haben?

    Ich hab das mit Bibliotekaren und Verantwortlichen von MPI und anderen Wissenschaftsorganisationen diskutiert. Und die für mich verblüffende Aussage war: niemand geht davon aus, dass alle Institutionen auf alle Inhalte gleichermaßen Zugriff haben. Das sei gar nicht wünschenswert aus zwei Gründen: die Institutionen wollen nur Lizenzen für das erwerben, was ihre Nutzer wirklich benötigen. Nationallizenzen für alle Inhalte wären kein optimaler Zustand sondern eine Ressourcenverschwendung.
    Und: die Selektion der für die Nutzer relevanten Informationen ist eine wertschöpfende Leistung der Institutionen, ein Angebot mit unbegrenzten Informationen reduziert die Qualität und hebt sie nicht.

    Das Argument, dass es kein optimaler Ressourceneinsatz ist Nationallizenzen für alles einzukaufen ist klar, solange Informationen von kommerziellen Anbietern bereit gestellt werden. Wenn man davon ausgeht, dass die Kosten der Informationserstellung identisch sind, ob bei einem privatwirtschaftlichen oder staatlichen Anbieter, dann kann sich an dem Argument aber auch bei einem staatlichen Anbieter wenig ändern.

    Zu wenig wird in der Diskussion auch der Punkt berücksichtigt, dass die Lenkungswirkung der Kosten verloren geht, wenn aus einem privatwirtschaftlichen ein staatliches Informationswesen wird. Und das führt (so das alte Grundwissen Volkswirtschaft) zu einem ineffizienten Mitteleinsatz.

    Es gibt also durchaus Argumente, die für abgestufte und angemessene Zugriffsrechte sprechen.

    Das zweite Thema, das ich aufgreifen möchte ist der Elternverkauf: Sie schreiben, dass es viele Wissenschaftler gibt, die ihre Eltern verkaufen würden, wenn es denn nur helfen würde, daß jeder ihrer Kollegen eine Kopie ihres aktuellsten blockbuster-Aufsatzes in der Zeitschrift „Historia“ in den Händen hat.
    Ist es nicht vielmehr so, dass viele Wissenschaftler ihre Eltern verkaufen würden, wenn dafür ihr Artikel in der Zeitschrift mit dem höchsten Impact-Faktor erscheinen würde? Die Aussage: alles was Wissenschaftler wollen, ist gelesen werden, stimmt vielleicht gar nicht. Vielleicht ist es egal, ob sie gelesen werden, Hauptsache sie sind optimal referenziert. Denn das entscheidet über ihre Karriere und ihre Drittmittel, nicht das Gelesen werden.

    Ein dritter Punkt: Ihr Bild von der digitalen Wissenschaftskommunikation ist stimmig, wenn man davon ausgeht, dass die Werke beim Autor entstehen und dann an einen Verlag zur Verwertung übergeben werden. Lassen wir mal die „Veredelung“ des Textes im Lektorat bei Seite. Damit ist es ja bei vielen Verlagen nicht weit her. Aber auch ohne der Bearbeitung des Textes: ich behaupte, dass ein großer Teil der wissenschaftlichen Information ohne Verlage gar nicht zustande kommen würde.
    – Das gilt sicher fast vollständig für den Bereich Lehrbuch.
    – Das gilt weiter für den kompletten Bereich Handbuch, Nachschlagewerke, Lexika usw.
    – Das gilt für einen großen Teil der wissenschaftlichen Monografien, vor allem in den Geisteswissenschaften
    – Das gilt für die meisten Sammelwerke
    – Das gilt auch für einen erheblichen Teil der Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften.

    Die Bedeutung der Verlage wird meistens unterschätzt, weil die Arbeit der Verlage zu wenig bekannt ist. Das können die Universitäten in ihrer heutigen Struktur nicht übernehmen.

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